Anwendungsbeobachtung

Die "Anwendungsbeobachtung" (AWB) ist ein Studientyp. AWB sind Beobachtungsstudien und fallen damit zunächst in die gleiche Kategorie wie Kohorten- oder Fall-Kontroll-Studien.

AWB stammen aus der pharmazeutischen Anwendungsforschung. Beobachtet werden vor allem die Praxis der Verordnung und Einnahme (einschl. "Compliance"), also das Verordnungs- und Anwendungsverhalten bei zugelassenen Medikamenten.

Ein Hauptaugenmerk liegt auf der Feststellung von Nebenwirkungen (unerwünschte Ereignisse), weil im Rahmen der Zulassung von Medikamenten die Fallzahlen oft zu klein sind, um hier sichere Aussagen zu ermöglichen ("selten ist selten"). Oft werden daher (seltene) Nebenwirkungen erst festgestellt, wenn ein Medikament schon auf dem Markt ist, weil erst in der Praxis hinreichend große "Fallzahlen" erreicht werden, um auch seltene unerwünschte Ereignisse feststellen und untersuchen zu können. AWB werden daher auch als ein Instrument der "Pharmakovigilanz" bzw. der Post-Marketing-Surveillance (Überwachung) betrachtet.

Anwendungsbeobachtungen können darüberhinaus die Ergebnisse von experimentellen Studien (RCTs) hinsichtlich der Wirksamkeit bestätigen; sie können dies aber nicht alleine erreichen, da bei Anwendungsbeobachtungen im Gegensatz zu prospektiven Kohorten- und Fall-Kontroll-Studien vergleichbare Kontrollgruppen fehlen und mithin kausale Aussagen in aller Regel nicht möglich sind.

AWB haben als Studientyp keinen guten Ruf; es wird moniert, dass sie häufig zu Marketingzwecken von der Pharma-Industrie durchgeführt wurden (bzw. werden), was der grundsätzlichen Idee von AWB, dass sie das Verordnungsverhalten nicht beeinflussen sollen, widerspricht.

Darüberhinaus werden die Ergebnisse von AWB oft zu Marketingzwecken überinterpretiert, insbesondere hinsichtlich ihrer Fähigkeit, Wirksamkeit von Medikamenten zu belegen. Mithin gelten AWB als "quick-and-dirty"- Methode oder als ein Studientyp "aus der Schmuddelecke" der Methodologie (Windeler 2000). Erst seit 1998 existieren Empfehlungen und Leitfäden für die Durchführung von AWB, deren Einhaltung aber ebenfalls Gegenstand kritischer Diskussion ist.

Für die Physiotherapie könnten AWB aber in von großem Interesse sein, nämlich als Studiendesign, dass darauf angelegt ist, die Transparenz der Umsetzung von physiotherapeutischen Behandlungen nach spezifischen Verordnungen zu erhöhen, quasi um erst einmal festzustellen, wie Physiotherapeuten überhaupt Verordnungen umsetzen. Somit könnten AWB für die Physiotherapie ein Instrument professioneller Qualitätssicherung werden.

Literatur

  • BfArM - Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (1998) "Bekanntmachung über die Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln (Empfehlungen zur Planung und Durchführung von Anwendungsbeobachtungen) 12. November 1998". Bundesanzeiger vom 4. Dezember 1998; S. 3072ff
  • Herbold M. (1996) "Anwendungsbeobachtungen (II). Nützliche Erkenntnisse über Arzneimittel im Alltag", Deutsches Ärzteblatt, Vol. 93, Nr. 46, S. A3010f
  • Kiene H. (1997) "Sind Wirksamkeitsnachweise in Anwendungsbeobachtungen unmöglich?" Pharmazeutische Industrie, Vol. 59, Nr. 9, S.737-741
  • Kiep G., Bethge H. (1996) "Anwendungsbeobachtungen (I). Kooperation mit Ärzten hat sich bewährt". Deutsches Ärzteblatt, Vol. 93, Nr. 46, S. A3008f
  • Merten M. (2002) "Anwendungsbeobachtung. Jede neue Nebenwirkung ist Erkenntnis". Deutsches Ärzteblatt, Vol. 99, Nr. 46, S. A3072
  • Oerlinghausen B., Munter K.-H., Wink K .(1999) "Anwendungsbeobachtungen. Realität widerspiegeln". Deutsches Ärzteblatt, Vol. 96, Nr. 12, S. A750
  • Windeler J. (2000) "Anwendungsbeobachtungen. Verharren in der "Schmuddelecke"". Deutsches Ärzteblatt; Vol. 97; Nr. 42, S.A2756f
  • Wink K. (2003) "Anwendungsbeobachtung in der ärztlichen Praxis (im Auftrag der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft". Hrsg. vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie BPI. 
  • Victor N., Windeler J., Hasford J., Köpcke W., Linden M., Michaelis J., Röhmel J., Schäfer H. (1998) "Empfehlungen zur Durchführung von Anwendungsbeobachtungen der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS)".

 

siehe auch: Beobachtungsstudie, Fall-Kontroll-Studie, Interventionsstudie, Kausalbeziehung/Kausalität, Kohortenstudie, randomisierte kontrollierte Studie, prospektive Kohortenstudie